Theater. Hakan Savaş Mican: SCHNEE. Vorstellungen am 10./11.12.12, jeweils 20.00h
„Und wenn du lange in einen
Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“
- Friedrich Nietzsche
Religion,
Ideologie, Kultur, Liebe, Konflikte. Was an diesem Abend auf
Kampnagel passiert, könnte menschlicher kaum sein.
Styropor
ist schon etwas Seltsames. Heute besteht gleich eine komplette Bühne
daraus. Stufen, quadratische Flächen, eine Stelle gefüllt mit
kleinen Teilen, fast wie im Spieleparadies eines großen Möbelhauses,
und von der Decke hängende Lampen, die an Krankenhaus erinnern. Es
ist weiß und hell. Ka, der sich als Schriftsteller, Journalist und
Dichter in Frankfurt versucht hatte, kehrt nach Karsberg, die Stadt
seiner Jugend, zurück. Dort hat sich vieles verändert. Sein alter
Freund Herbert, der zwischenzeitlich mit Kas Jugendliebe Seide
verheiratet war, ist derangiert, berichtet entrüstet und voll
national motivierter Inbrunst und Entrüstung davon, dass ein großer
Teil der Karsberger zum Islam übergetreten ist. Es hat Selbstmorde
gegeben, Kopftuch tragende junge Mädchen wählten den Freitod. Ka
versucht Seide wieder für sich zu gewinnen und will mit ihr
gemeinsam in Frankfurt leben, auch um sie aus der Karsberger
Situation zu befreien.
„Lieber zu zweit unglücklich
in Frankfurt, als einsam in Karsberg.“
Zunehmend ist Ka dazu gezwungen,
seine anfängliche Naivität gegenüber den Konflikten in Karsberg
abzulegen. Verstrickt zwischen den Fronten und konfrontiert mit
Perspektiven von allen Seiten auf „das Andere“ geht auch er, wie
alle Beteiligten, immer weiter zu Grunde. Ideologien prallen
aufeinander, innen und außen, der Kampf um seine Liebe wird immer
komplizierter, die Gewalt in Karsberg nimmt zu. Gleichzeitig sieht
sich Ka mit seiner eigenen Selbstunzufriedenheit konfrontiert.
„Mensch Ka, sei doch einfach
mal du selbst!“ - „Das hat noch nie wirklich geklappt.“
Hakan Savaş Mican hat bei Schnee
zum ersten Mal an
einer Romanvorlage gearbeitet und es als schwere Aufgabe empfunden,
die er aber innovativ und tiefgreifend gelöst hat. Während der
Roman von Orhan Pamuk im türkischen Kars spielt, transferiert Mican
ihn in die fiktive deutsche Stadt Karsberg und eröffnet somit sowohl
Universalität, als auch den Weg zur Frage nach Migration,
angeregt durch die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen
Diskursen der letzten Jahre und Monate. Daraus klingt vieles an
in diesem Stück, sei es nun die Rezeption der Thesen Thilo Sarrazins
oder die Frage nach der Gefahr einer Wiederholung der Brandanschläge
von Lichtenhagen oder Mölln in der 1990er Jahren der Bundesrepublik.
Politisches Theater ist es allemal, auch wenn sich Mican mit dem
Begriff schwertut. Aber durch die Romanvorlage, die sich als politisch
versteht und spätestens, als es um globale, universale Themen,
um das Leben der Menschen geht, wird es politisch.
„Ich will nicht mehr an
Politiker, an Kriege und sowas glauben, ich will nur an die Liebe
glauben! Und das ist dann auch wieder Politik, Scheiße!“
Ob politisches, postmigrantisches
oder postmodernes Theater, das Etikett spielt keine Rolle. Die Frage
ist bei all dem, was man uns hier erzählt und bei all dem Horchen
nach Verstehen, nach Wahrheit und nach Liebe: „Was hat das mit uns
zu tun?“
Sehr viel.
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