Dienstag, 11. Dezember 2012

„Apfel, Birne, Mus! - Apfel, Birne, Mus!

Theater. Hakan Savaş Mican: SCHNEE. Vorstellungen am 10./11.12.12, jeweils 20.00h





Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ - Friedrich Nietzsche


Religion, Ideologie, Kultur, Liebe, Konflikte. Was an diesem Abend auf Kampnagel passiert, könnte menschlicher kaum sein.

Styropor ist schon etwas Seltsames. Heute besteht gleich eine komplette Bühne daraus. Stufen, quadratische Flächen, eine Stelle gefüllt mit kleinen Teilen, fast wie im Spieleparadies eines großen Möbelhauses, und von der Decke hängende Lampen, die an Krankenhaus erinnern. Es ist weiß und hell. Ka, der sich als Schriftsteller, Journalist und Dichter in Frankfurt versucht hatte, kehrt nach Karsberg, die Stadt seiner Jugend, zurück. Dort hat sich vieles verändert. Sein alter Freund Herbert, der zwischenzeitlich mit Kas Jugendliebe Seide verheiratet war, ist derangiert, berichtet entrüstet und voll national motivierter Inbrunst und Entrüstung davon, dass ein großer Teil der Karsberger zum Islam übergetreten ist. Es hat Selbstmorde gegeben, Kopftuch tragende junge Mädchen wählten den Freitod. Ka versucht Seide wieder für sich zu gewinnen und will mit ihr gemeinsam in Frankfurt leben, auch um sie aus der Karsberger Situation zu befreien.

Lieber zu zweit unglücklich in Frankfurt, als einsam in Karsberg.“



Zunehmend ist Ka dazu gezwungen, seine anfängliche Naivität gegenüber den Konflikten in Karsberg abzulegen. Verstrickt zwischen den Fronten und konfrontiert mit Perspektiven von allen Seiten auf „das Andere“ geht auch er, wie alle Beteiligten, immer weiter zu Grunde. Ideologien prallen aufeinander, innen und außen, der Kampf um seine Liebe wird immer komplizierter, die Gewalt in Karsberg nimmt zu. Gleichzeitig sieht sich Ka mit seiner eigenen Selbstunzufriedenheit konfrontiert.

Mensch Ka, sei doch einfach mal du selbst!“ - „Das hat noch nie wirklich geklappt.“

Hakan Savaş Mican hat bei Schnee zum ersten Mal an einer Romanvorlage gearbeitet und es als schwere Aufgabe empfunden, die er aber innovativ und tiefgreifend gelöst hat. Während der Roman von Orhan Pamuk im türkischen Kars spielt, transferiert Mican ihn in die fiktive deutsche Stadt Karsberg und eröffnet somit sowohl Universalität, als auch den Weg zur Frage nach Migration, angeregt durch die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Diskursen der letzten Jahre und Monate. Daraus klingt vieles an in diesem Stück, sei es nun die Rezeption der Thesen Thilo Sarrazins oder die Frage nach der Gefahr einer Wiederholung der Brandanschläge von Lichtenhagen oder Mölln in der 1990er Jahren der Bundesrepublik. Politisches Theater ist es allemal, auch wenn sich Mican mit dem Begriff schwertut. Aber durch die Romanvorlage, die sich als politisch versteht und spätestens, als es um globale, universale Themen, um das Leben der Menschen geht, wird es politisch.

Ich will nicht mehr an Politiker, an Kriege und sowas glauben, ich will nur an die Liebe glauben! Und das ist dann auch wieder Politik, Scheiße!“

Ob politisches, postmigrantisches oder postmodernes Theater, das Etikett spielt keine Rolle. Die Frage ist bei all dem, was man uns hier erzählt und bei all dem Horchen nach Verstehen, nach Wahrheit und nach Liebe: „Was hat das mit uns zu tun?“

Sehr viel.




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