Samstag, 15. Dezember 2012

Wer andern keine Grube gräbt

Theater. Branko Šimić: WIR – ANTIGONE #2. Vorstellungen am 14./15.12.12, 20.00h 

In „Wir – Antigone“ werden Geschichten erzählt. Die jüngere Geschichte Bosniens, die geprägt ist von Gewalt, Kriegsgefallenen und einer orientierungslosen U30-Generation. Die persönliche Lebensgeschichte der zwei jungen Schauspielerinnen Jasmina und Ana, beide mit bosnischen Wurzeln, die versuchen, den Status Quo Bosniens kritisch zu hinterfragen. Und natürlich, und das mittendrin, die Geschichte Antigones, die große Frauenfigur der griechischen Mythologie.


Foto: Oliver Paul


Antigone, Tochter des König Ödipus, wird nach der Machtergreifung Kreons zum Tode verurteilt. Warum? Sie ließ ihren Bruder Polyneikes begraben, und das trotz des Verbots des neuen Tyrannenkönigs. Doch Antigone lässt sich nichts vorschreiben, sie folgt ihren eigenen und religiös-ethisch motivierten Gesetzen. Das ist der Mythos, den wir alle kennen. Antigone – eine Frau also, die ohne Rücksicht auf Verluste nach ihrer eigenen Überzeugung handelt. Was hat das aber mit dem Status quo in Bosnien zu tun? Einiges. Die Jugoslawienkriege, allen vorweg der Bosnienkrieg von 1992-1995, forderte 100.000 Tote, zumeist Männer. Das Prekäre: Die Leichen der Toten sind oft immer noch nicht gefunden, liegen seit zig Jahren unbemerkt in der Erde des ganzen Landes verstreut. Hinterlassen haben die toten Männer Ehefrauen, Mütter, Schwestern und Töchter. Und die werden so, mitunter ganz unfreiwillig, zu modernen Antigones, wenn auch im Stillen. Denn sie geben nicht eher auf, hören nicht auf zu insistieren, bis die vermissten und verstorbenen Angehörigen endlich gefunden und zu Grabe getragen werden. „Wir – Antigone“ fokussiert demnach nicht ausschließlich die Person dieses griechischen Mythos, sondern ihre Tat: Das Postulieren auf ein Grab für eine verstorbene, geliebte Person.
All das wird dem Zuschauer in einem kaleidoskopartigen Tableau narrativ, und doch lebendig präsentiert. Intensive Dialoge der beiden Darstellerinnen (sehr überzeugend!) über das eigene Land, Musikvideos auf länglichen, weißen Bannern, Filminstallationen von zuvor aufgenommen Interviews der beiden und von Originalsequenzen aus Sophokles‘ Tragödie – und dazwischen die deutsche Jasmina und die bosnische Ana, die bosnische Jasmina und die deutsche Ana.




Ein Videomitschnitt bleibt dabei in besonders elegischer Erinnerung. Die Leiterin eines, man kann es nicht anders sagen , bosnischen Leichenwiederzusammensetzungsinstituts, kommt darin zu Wort. Denn genau das ist es: Ein Institut, das sich ausschließlich damit beschäftigt, die nach dem Krieg im ganzen Land gefunden menschlichen Überreste und Knochen zu sammeln, zu katalogisieren, zu identifizieren. Und vor allem: Die einzelnen Teile wieder zusammenzusetzen und die Körper so zu vervollständigen, damit die Geborgenen endlich, nach vielen Jahren, von ihren Familien bestattet werden können.

Es tut sich die Frage auf, warum das eigentlich so wichtig ist, einen Toten zu beerdigen, sowohl in der Mythologie as auch heute. Zeugen die Hinterbliebenen den Toten so den letzten Respekt? Verlangt das die Religion, egal, welche? Oder ist es einfach ein Ritus geworden, dessen Sinn nicht mehr hinterfragt wird?

Zum Schluss wandeln sechs Personen über die dunkle Bühne. Einzig allein ihre Köpfe werden erhellt durch kleine Lichter, die sie zu den von Jasmina und Ana zuvor mit Blumenerde drapierten Gräbern bringen. Untermauert wird diese Szene durch schummrige, aber auch starke, emotional-aufgeladene Rockmusik, die plötzlich zeigt, worum es bei einer Bestattung wirklich geht. Den Toten ist es vermutlich egal, was nach ihrem Tod mit ihren Körpern geschieht. Manifest sind es vielmehr die Hinterbliebenen, die verlassenen Liebenden, die wie verlorene Seelen umherwandeln. Und die können eben erst ihre (ewige) Ruhe finden, wenn es zuvor die Verstorbenen getan haben.

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