Samstag, 8. Dezember 2012

Wahrscheinlich haben die Deutschen das Vorwort erfunden



Lesung und Konzert. DER BALKANIZER – Danko Rabrenović mit der Band Trovači am 07.12.12


Ich sitze auf dem Fußboden und trinke Bier. Ist sonst nicht so meine Art. Ist sonst auch nicht so, im Theater. Es ging ja auch noch gar nicht los. Die Leute um mich herum rauchen und trinken und sind in blaues Licht getaucht.

Und irgendwie fängt es dann an, die Lesung, das Erzählen. Da kommt ein Mann auf die Bühne, der jung ist und sprüht vor Freude und Leben und der erzählt. Was hat der überhaupt zu sagen? Er hat zu sagen, dass er keine Heimat hat, dass sein zu Hause überall ist. Heute hier, morgen in Düsseldorf, übermorgen in Belgrad. Stell dir vor, du bist in einem Land geboren, das es nicht mehr gibt. Wo ist dann deine Heimat? Hast du eine? Lebst du? Aber der junge Mann auf der Bühne hat keine Wut, er hat keinen Kummer, er lacht.

Wie ich in Deutschland bleiben konnte? Zehn Jahre studieren. Die Ausländerbehörde hat mich zum Akademiker gemacht. Er erzählt von Gerichten und Familien, Musik, Sprache, Kindereien. Keiner wird hier belehrt. Es ist eine Märchenstunde und für jeden ist etwas anderes zu hören. Lieder wechseln sich mit Anekdoten ab. Es wird wärmer im Raum. Er ist weder Serbe, noch Kroate noch Deutscher, er ist Bürger des Universums. Inzwischen, sagt er, habe er es verstanden: „Es sind einfach zwei Welten, ich lebe zwischen ihnen und versuche, das Beste aus beiden mitzunehmen.“ Was ihm fehlt? „Die Sonne.“ Und so erzählt er weiter und nimmt uns mit, zeigt uns ein Stück seiner Heimat, schonungslos ehrlich und unverklärt, zeigt einen Vergleich zwischen pedantischen Deutschen und fanatischen Jugos, wie er sie nennt. Ein bisschen hat er sich der Pedanterie schon hingegeben. Sein Buch hat ein Vorwort. Das findet er lustig. Das findet er praktisch. Das findet er deutsch. Nach Thilo Sarrazin titeln die Zeitungen: „Mulitkulti ist tot“. Das kann aber doch nicht sein, denkt er, sein Herz schlägt doch noch. Waren sie mit Multi beim Arzt?

Nach ein paar Geschichten baut er um, der Saal wird leer geräumt und die Band nimmt das Heimatgefühl in die Hand. Der Raum füllt sich, die Leute wippen schon mit den Schuhspitzen, die ersten Lippen lächeln bereits, denn wir sind alle gleich, wir kennen uns nicht, aber heute Abend feiern wir zusammen, heute Abend bleibt keiner zu haus. Die Musik hat keine schwierigen, wortgewandten Texte. „Liebe, Liebe, Liebe, Liebe, jedes Wesen braucht die Liebe.“ Manchmal braucht man keine langen Texte, nur ein bisschen Wahrheit und eine Melodie, die sagt: Nehmt das mit, was ihr heute gehört und gefühlt habt, tragt es in die Welt. Fühlt euch frei, zu Hause zu sein.





     

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