Hier wird das
Motto des Festivals zum makabren Programm: Der Dokumentarfilm Wadim ist
wirklich krass. Da kullerte auch bei Guenter Krass (der geneigte Leser wird
sich ungläubig die Äuglein reiben) die ein oder andere Träne, es entfleuchte
ein empörtes Schnauben oder die Schamesröte stand im Gesicht.
Ist es denn
wirklich möglich, dass so viele Menschen in unserem Land leben, die eigentlich
heimatlos sind? Sie besitzen keine Staatsbürgerschaft, suchen in Deutschland
Asyl und stoßen doch immer wieder nur auf erbarmungslose Behörden, für die sie
eine namen- und gesichtslose Masse bilden.
Derzeit leben hier 87.000 Menschen,
die nur eine Duldung besitzen. Das bedeutet, ihre Abschiebung ist nur
vorrübergehend ausgesetzt, hierbei kann es sich um Monate, Wochen, oder nur um
Tage handeln. Ist die Duldung abgelaufen, müssen sie sich in der
Ausländerbehörde anstellen und hoffen, dass sie eine weitere Duldung genehmigt
bekommen, sonst werden sie mit sofortiger Wirkung abgeschoben. In der Behörde
herrschen unmenschliche Zustände: Die Asylanten drängen und drängeln,
zerquetschen sich fast gegenseitig. Krass? Ja.
Und mittendrin
die vierköpfige Familie K. Wadim, seine Eltern und sein Bruder. Wadim ist tot –
Suizid, hier in Hamburg. Wie es dazu kam, das erzählt uns der Film von Carsten
Rau und Hauke Wendler. Es geht hier nicht um das Warum, denn das scheint allen
klar. Dem Zuschauer auch, wenn er den Saal verlässt. Merkwürdig, einen
Selbstmord zu verstehen.
Familie K. kommt
nach Deutschland, als Wadim sechs ist, er wächst in Deutschland auf und
integriert sich perfekt, fühlt sich hier zu Hause, Hamburg ist seine Heimat.
Doch der Schein trügt, sie müssen zu jeder Tages- und Nachtzeit mit ihrer
Abschiebung rechnen. Gebürtig kommt Wadim aus Lettland, aber die Familie hat
russische Wurzeln und die Russen werden dort nur als zweitklassige Menschen
betrachtet. Deshalb gingen sie nach Deutschland. Zwölf Jahre ständiges Bangen
und Sorgen hat die Eltern gezeichnet. Als die Beamten schließlich kommen, um
die Familie abzuschieben, schneidet sich Frau K. die Pulsadern auf. Wadim, der
zu dem Zeitpunkt volljährig ist, wird alleine nach Riga abgeschoben und steht
dort auf der Straße, ohne Geld, ohne überhaupt die Sprache zu sprechen.
Nach
einem Jahr kehrt er zurück zu seiner Familie, illegal, und zieht dann nach
kurzer Zeit weiter durch Europa, auf der rastlosen Suche nach einer Heimat,
einem Ort, wo er bleiben darf, doch jede beantragte Staatsbürgerschaft wird
abgelehnt.
2009 schließlich
reist er ein letztes Mal illegal nach Deutschland und im Januar 2010 stellt er
sich auf die Gleise der S-Bahn und wartet auf seinen Tod.
Dem Zuschauer
zeichnen Wadims Eltern, Lehrer und Freunde ein Portrait. Sie erzählen von
seinem Leben, seiner Angst und seiner Verzweiflung und der unerfüllten Hoffnung
einer ganzen Familie, dass sie endlich eine Heimat finden, in der sie
akzeptiert und aufgenommen, nicht bloß geduldet werden. Es geht aber auch um
deutsche Bürokratie, um die Steine, die den verzweifelten Asylbewerbern in den
Weg gelegt werden. Der Film macht nachdenklich und gleichzeitig wird dem
Publikum ein Spiegel vorgehalten. Die Dokumentation schließt mit den Worten von
Wadims Bruder, der den Film für eine gute Sache hält, es aber für utopisch
hält, dass sich dadurch irgendetwas ändert. Er würde bei den Menschen Mitleid
auslösen, doch einen Augenblick später kümmerten sie sich sowieso wieder nur um
sich selbst.
Es bleibt: ein
bitteres Gefühl und die Frage, warum es soweit kommen muss.
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