Samstag, 8. Dezember 2012

Was ist Heimat und wozu brauche ich eine?

Dokumentarfilm. WADIM (Regie: Carsten Rau/Hauke Wendler) Termine: 06.12. (19.00h) und 11.12.12 (18.15h)

Hier wird das Motto des Festivals zum makabren Programm: Der Dokumentarfilm Wadim ist wirklich krass. Da kullerte auch bei Guenter Krass (der geneigte Leser wird sich ungläubig die Äuglein reiben) die ein oder andere Träne, es entfleuchte ein empörtes Schnauben oder die Schamesröte stand im Gesicht.

Ist es denn wirklich möglich, dass so viele Menschen in unserem Land leben, die eigentlich heimatlos sind? Sie besitzen keine Staatsbürgerschaft, suchen in Deutschland Asyl und stoßen doch immer wieder nur auf erbarmungslose Behörden, für die sie eine namen- und gesichtslose Masse bilden.
Derzeit leben hier 87.000 Menschen, die nur eine Duldung besitzen. Das bedeutet, ihre Abschiebung ist nur vorrübergehend ausgesetzt, hierbei kann es sich um Monate, Wochen, oder nur um Tage handeln. Ist die Duldung abgelaufen, müssen sie sich in der Ausländerbehörde anstellen und hoffen, dass sie eine weitere Duldung genehmigt bekommen, sonst werden sie mit sofortiger Wirkung abgeschoben. In der Behörde herrschen unmenschliche Zustände: Die Asylanten drängen und drängeln, zerquetschen sich fast gegenseitig. Krass? Ja.

Und mittendrin die vierköpfige Familie K. Wadim, seine Eltern und sein Bruder. Wadim ist tot – Suizid, hier in Hamburg. Wie es dazu kam, das erzählt uns der Film von Carsten Rau und Hauke Wendler. Es geht hier nicht um das Warum, denn das scheint allen klar. Dem Zuschauer auch, wenn er den Saal verlässt. Merkwürdig, einen Selbstmord zu verstehen.

Familie K. kommt nach Deutschland, als Wadim sechs ist, er wächst in Deutschland auf und integriert sich perfekt, fühlt sich hier zu Hause, Hamburg ist seine Heimat. Doch der Schein trügt, sie müssen zu jeder Tages- und Nachtzeit mit ihrer Abschiebung rechnen. Gebürtig kommt Wadim aus Lettland, aber die Familie hat russische Wurzeln und die Russen werden dort nur als zweitklassige Menschen betrachtet. Deshalb gingen sie nach Deutschland. Zwölf Jahre ständiges Bangen und Sorgen hat die Eltern gezeichnet. Als die Beamten schließlich kommen, um die Familie abzuschieben, schneidet sich Frau K. die Pulsadern auf. Wadim, der zu dem Zeitpunkt volljährig ist, wird alleine nach Riga abgeschoben und steht dort auf der Straße, ohne Geld, ohne überhaupt die Sprache zu sprechen.
Nach einem Jahr kehrt er zurück zu seiner Familie, illegal, und zieht dann nach kurzer Zeit weiter durch Europa, auf der rastlosen Suche nach einer Heimat, einem Ort, wo er bleiben darf, doch jede beantragte Staatsbürgerschaft wird abgelehnt.

2009 schließlich reist er ein letztes Mal illegal nach Deutschland und im Januar 2010 stellt er sich auf die Gleise der S-Bahn und wartet auf seinen Tod.

Dem Zuschauer zeichnen Wadims Eltern, Lehrer und Freunde ein Portrait. Sie erzählen von seinem Leben, seiner Angst und seiner Verzweiflung und der unerfüllten Hoffnung einer ganzen Familie, dass sie endlich eine Heimat finden, in der sie akzeptiert und aufgenommen, nicht bloß geduldet werden. Es geht aber auch um deutsche Bürokratie, um die Steine, die den verzweifelten Asylbewerbern in den Weg gelegt werden. Der Film macht nachdenklich und gleichzeitig wird dem Publikum ein Spiegel vorgehalten. Die Dokumentation schließt mit den Worten von Wadims Bruder, der den Film für eine gute Sache hält, es aber für utopisch hält, dass sich dadurch irgendetwas ändert. Er würde bei den Menschen Mitleid auslösen, doch einen Augenblick später kümmerten sie sich sowieso wieder nur um sich selbst.

Es bleibt: ein bitteres Gefühl und die Frage, warum es soweit kommen muss.

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